Dankbarkeit & Yin Yoga in stürmischen Zeiten – eine Praxis, die trägt
- Sarah-Maria Eichenauer

- 3. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Es ist viel gerade. Weltweit folgen Krisen auf Krisen. Kriege. Klimakatastrophen. Politische Spannungen. Diskriminierungen. Und während die großen Themen in den Nachrichten und auf Social Media an einem vorbeirauschen oder uns mitten ins Herz treffen, toben auch ganz persönliche Stürme: Familiäre Belastungen. Unsicherheit im Beruf. Krankheit. Einsamkeit. Erschöpfung oder Stress.
Die Welt wirkt laut, manchmal unberechenbar und überfordernd. Und mittendrin bist du, ein fühlender Mensch, der aber ganz normal weiter funktionieren soll und das in der Regel auch tut.
Wir fahren in den Urlaub, Lachen mit Freund:innen und Familie. Halten den Alltag am Laufen. Und tragen doch diese Gleichzeitigkeit in uns: Freude und Sorge, Licht und Schatten, Nebel und Klarheit.
In solchen Momenten fühlt es sich fast zynisch an, von Dankbarkeit zu sprechen, als würde man ein Pflaster auf etwas kleben, das tiefer sitzt. Aber Dankbarkeit ist mehr als ein Pflaster. Sie ist eine Haltung. Eine Praxis. Und manchmal sogar: ein stiller Akt des Widerstands gegen das Gefühl, dass alles zu viel ist.
Yin Yoga & Dankbarkeit – zwei stille Kräfte
In meiner letzten Yin Yoga Klasse haben wir genau das gespürt: Wie heilsam es sein kann, in der Stille zu verweilen, nicht trotz der Krisen, sondern wegen ihnen. Yin Yoga ist eine ruhige Praxis. Wir bleiben mehrere Minuten in einer Haltung, meist bodennah, und lassen die Muskulatur weich werden. Lassen die Schwerkraft arbeiten. Nicht, um etwas zu erreichen, sondern um loszulassen.
Der Körper darf sinken. Das Nervensystem darf zur Ruhe kommen. Und das, was im Alltag oft übertönt wird, darf sich zeigen. Yin Yoga bietet Raum für das, was gerade da ist. Auch für das Unbequeme. Gleichzeitig eröffnet Yin Yoga uns aber auch Raum, Dankbarkeit zu praktizieren. Hinzuschauen, Hinzuhören, Reinzufühlen.
Was ist Yin Yoga eigentlich?
Yin Yoga ist ein meditativer Yogastil, bei dem der Fokus nicht auf Muskelkraft oder fließenden Bewegungen liegt, sondern auf Hingabe, Langsamkeit und innerem Spüren. Die Haltungen (Asanas) werden ohne aktive Muskelanspannung über mehrere Minuten gehalten. Die Wirkung entfaltet sich tief im faszialen Gewebe, also im Bindegewebe, in Gelenken, Faszien und den energetischen Bahnen (Meridiane).
Yin Yoga beruhigt das Nervensystem, fördert Regeneration und bringt uns aus dem Tun ins Sein. Gerade in Zeiten von Stress, Überforderung oder emotionaler Unruhe kann diese Form des Yoga eine Einladung sein, wieder in Verbindung mit sich selbst zu kommen, jenseits von Leistung und Anspruch.
Dankbarkeit spüren – nicht nur denken
Dankbarkeit erscheint oft nicht von allein. Manchmal fühlt sie sich fern an, leer oder sogar fehl am Platz. Aber sie ist kein Luxusgefühl. Und keine Pflicht. Sie ist auch keine moralische Überlegenheit.
Dankbarkeit ist ein Üben der Wahrnehmung.
Wenn wir still werden – wie im Yin Yoga – wird Raum frei. Nicht für „mehr“, sondern für das, was schon da ist. Wir beginnen wieder zu sehen: Ein Atemzug. Ein Moment der Ruhe. Ein warmer Tee. Ein Gedanke, der nicht verurteilt. Ein Lichtstreif am Himmel. Ein Gefühl von: Ich bin noch hier.
Dankbarkeit richtet unseren Blick. Nicht weg von der Krise, sondern hin zum Leben. Dahin, wo sich vielleicht trotzdem etwas Gutes zeigt. Etwas, das uns trägt, auch wenn es ganz leise ist.
Was Dankbarkeit uns lehrt
Oft hört man, Menschen mit weniger Besitz seien dankbarer. Vielleicht, weil sie gelernt haben, im Kleinen das Große zu erkennen. Vielleicht, weil sie nicht gewohnt sind, alles für selbstverständlich zu halten. Dankbarkeit macht uns aufmerksam. Nicht auf das, was fehlt – sondern auf das, was da ist. Sie ist kein Verzicht, sondern ein Zurückfinden zu dem, was wichtig ist.
In einer Welt, die uns ständig zum Vergleichen, Optimieren und Weiterziehen antreibt, wirkt Dankbarkeit entschleunigend. Sie holt uns zurück: ins Jetzt. In den Moment. In das, was genügt. Und manchmal genügt wenig. Ein weicher und langsamer Atem. Ein stiller und liebevoller Raum. Ein inneres Ja zu sich selbst.
Dankbarkeit für die eigene Praxis
Dankbarkeit darf sich auch auf das richten, was wir selbst für uns tun. Darauf, dass du dich entscheidest, dir Raum zu nehmen. Dich auf die Matte zu legen. Hinzuatmen statt wegzulaufen. Achtsam mit deinem Körper umzugehen, nicht, um etwas zu leisten, sondern um dich zu spüren.
Gerade in schwierigen Zeiten ist es alles andere als selbstverständlich, sich diese Momente zu schenken. Auch dafür darfst du dankbar sein: für deine Praxis. Für das, was du dabei lernst. Für deinen Mut, immer wieder bei dir selbst anzufangen.
Warum gerade jetzt?
In stürmischen Zeiten wird viel von uns gefordert. Wir sollen funktionieren, reagieren, durchhalten. Doch manchmal ist der heilsamste Schritt ein ganz leiser: innehalten. Lauschen. Und entdecken, dass mitten im Chaos noch etwas bleibt, das ruhig ist.
Yin Yoga kann dieser Ort sein. Ein Raum, in dem nichts muss. In dem du ankommen darfst, genau so, wie du bist. Und genau dort, in der stillen Präsenz, beginnt manchmal auch Dankbarkeit: Nicht laut. Nicht spektakulär. Aber ehrlich. Und spürbar.




